Eine halbe Milliarde Zugvögel, die von ihren Brutgebieten in mildere Winterquartiere wandern, ziehen jedes Jahr im Herbst über Österreich (SCHNAPPEN.AT berichtete über die Birdlife-Aktion "EuroBirdwatch" am ersten Oktoberwochenende 2022 - hier). Viele dieser Zugvögel landen normalerweise zur Wasser- und Nahrungsaufnahme bei den Salzlacken im Seewinkel im Burgenland. Jedoch befindet sich in den gewohnten, wichtigen Lacken kein Wasser mehr, und damit auch keine Nahrung für die Vögel.
Wie sich das auf die Vögel auswirkt, welche Bedeutung die Lacken im Seewinkel für die Vogelwelt haben, ob es Sinn macht als Soforthilfe den "Darscho" vorübergehend mit Wasser zu befüllen und was besorgte Bürger tun können, um die Vögel zu retten - erklärt Gabor Wichmann, der Geschäftsführer von BirdLife Österreich. Mehr über
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Fotos (c): SCHNAPPEN.AT
Seewinkel-Lacken: "Verschwinden für Watvögel nicht kompensierbar"
SCHNAPPEN.AT: Wie ist der Zugweg der 500 Millionen Vögel, die im Herbst über Österreich in den Süden fliegen?
Gabor Wichmann: Der Großteil der jährlich 500 Millionen Zugvögel sind Singvögel. Diese ziehen in einem Breitbandzug über Österreich. Im Alpenbereich gibt es dann natürlich gewisse Massierungen bzw. eine Korridorwirkung. D.h. sie fliegen z.B. lieber über die Ostalpen als die Zentralalpen. Natürlich ziehen auch viele Singvögel durch den Seewinkel, wobei hier auch die Schilfbestände, Weinberge, Ackerflächen und Brachen genutzt werden.
Seewinkel-Lacken einzigartig
SCHNAPPEN.AT: Wie wichtig sind die Salzlacken im Seewinkel für die Vögel?
Gabor Wichmann: Die Seewinkel-Lacken sind einzigartig und ein Verschwinden wäre innerhalb Österreichs vor allem für die durchziehenden Watvögel nicht kompensierbar. Die Seewinkler Lacken haben nicht nur als Feuchtgebiet eine riesige Bedeutung. Sie sind auch aufgrund ihrer Ökologie besonders. Diese Salzsteppen und salzige Feuchtflächen sind etwas Besonderes.
SCHNAPPEN.AT: Lässt sich sagen, wieviel Vögel gezielt die Lacken im Seewinkel anfliegen, weil das ihre gewohnte Flugroute ist?
Gabor Wichmann: Die Lacken selbst spielen für den Großteil der Singvögel keine Rolle. Die Lacken sind für Watvögel und manche Entenvögel von großer Bedeutung (wobei letztere natürlich auch den See nutzen). Ich habe gerade nicht die konkreten Zahlen parat, aber hier geht es nicht allein um die Menge der Vögel. Denn die zwar beträchtliche Anzahl an Watvögel hat nur einen geringen Anteil an den 500 Millionen.
Wenig vergleichbare Rastplätze
SCHNAPPEN.AT: Worum geht es dann?
Gabor Wichmann: Es geht eher darum, dass es nur wenige vergleichbaren Rastplätze für diese Flachwasser benötigende Vogelarten gibt. Wenn Rastplätze verschwinden, bedeutet dies, dass die Vögel keine Energie auftanken können. Das heißt, dass sie weniger fit sind und natürlich, dass sie Gefahr laufen, die Strecke dann nicht zu schaffen.
SCHNAPPEN.AT: Was passiert, wenn die Vögel plötzlich hier keine Wasser- und Futterplätze mehr finden?
Gabor Wichmann: Da müssten die Vögel schon großräumig ausweichen, mit allen Konsequenzen.
SCHNAPPEN.AT: Schaffen die Tiere den tausend Kilometer langen Weiterflug in den Süden auch ohne Lacken oder verenden sie?
Gabor Wichmann: Schwer zu sagen, wie die Arten darauf reagieren. Aber prinzipiell hat die Gruppe der Limikolen oder Watvögel (Schnepfen, Strandläufer, usw.) in den letzten Jahrzehnten(hunderten) massive Verluste hinnehmen müssen. Einfach weil wir die Fläche und Qualität der Feuchtgebiete weltweit reduziert haben.
Zug- und Brutzeit
Gabor Wichmann: Es geht hier nicht nur um den Zug, sondern auch um die Brutzeit. So haben wir Flüsse und Bäche begradigt, wodurch Überschwemmungsgebiete verloren gegangen sind. Wir haben Feuchtwiesenbereiche, Moore, usw. trockengelegt. Wir haben riesige Flächen drainagiert. Dadurch sind Feuchtflächen verloren gegangen. Nicht nur große, sondern auch die vielen kleinen. Auch diese haben eine gewaltige Bedeutung als Brut- und Rastgebiet.
Soforthilfe: Darscho
SCHNAPPEN.AT: Wäre es eine Soforthilfe, z.B. den Darscho mit Wasser zu befüllen um den Vögeln im Seewinkel Wasser anzubieten?
Gabor Wichmann: Den Darscho mit Wasser füllen ist eine Möglichkeit, aber man muss aufpassen, dass man die Chemie nicht ändert. Die Frage ist ja auch, woher das Wasser kommt. Ich glaube, dass es da verschiedene Meinungen gibt.
SCHNAPPEN.AT: Könnten die Vögel, nachdem in den trockenen Lacken kein Futter mehr zu finden ist, zugefüttert werden?
Gabor Wichmann: Zufüttern bringt nichts. Davon abgesehen können wir die benötigten Mengen gar nicht zur Verfügung stellen. Und man muss auch aufpassen, dass man dadurch das Ökosystem nicht durcheinander bringt.
Zufüttern?
SCHNAPPEN.AT: Warum hilft Zufüttern nicht?
Gabor Wichmann: Es geht erstens um ein natürliches Ökosystem. Wir möchten nicht völlig künstliche Situationen herstellen. Die Watvögel brauchen seichtes Wasser. Wenn dies vorhanden ist, entsteht die Nahrung von selbst. Ein Watvogel sucht seine Nahrung nicht auf trockenem Land. Er würde dort auch nie landen.
SCHNAPPEN.AT: Was also kann man tun, um die Vögel die im Herbst 2022 ins Seewinkel kommen zu retten?
Gabor Wichmann: Was wir jetzt benötigen ist ein Reduzieren der Grundwasserentnahme. Nach unseren Schätzungen wird jedes Jahr so viel Wasser entnommen wie eine Grundwasserneubildung stattfindet. Das ist katastrophal. Gerade in Zeiten des Klimawandels. Wieso werden in einem der trockensten Gebieten Österreichs wasserintensive Kulturen wie Kartoffeln angebaut? Dies muss geändert werden.
Schnelle Lösung
SCHNAPPEN.AT: Wie steht BirdLife zur jetzigen Situation, welche Pläne gibt es?
Gabor Wichmann: Unser Ziel ist es, die intensive Entnahme des Grundwassers durch die Landwirtschaft zu reduzieren. Wir arbeiten hier sowohl auf Ebene der Beamtenschaft, auf rechtlicher Ebene als auch auf höchster politischer Ebene, um ausreichend Druck zu machen, damit rasch etwas passiert.
Denn es ist klar, dass es schnell zu einer Lösung kommen muss. Wie Sie sich vorstellen können, ist aber der Widerstand insbesondere durch die Landwirtschaft extrem groß. Aber es gibt klare Signale von Seiten der Politik, dass es schon im kommenden Frühjahr eine Lösung gibt (SCHNAPPEN.AT berichtete - hier)
Briefe schreiben
SCHNAPPEN.AT: Aber eine Lösung im Frühjahr 2023 hilft den Tieren im Herbst 2022 nicht. Was können besorgte Bürger tun?
Gabor Wichmann: Auch besorgte Bürger können mithelfen. Wenn sie den zuständigen Landesräten (Dorner, Eisenkopf) bzw. dem Landeshauptmann (der auch an einer Lösung interessiert ist) eine Nachricht zukommen lassen, dann hilft es genauso. Oft wiegt sogar ein postalischer Brief mehr als eine Mail. Denn dann wissen die Politiker, dass die Bürger besorgt sind.
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